9punkt - Die Debattenrundschau

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Februar 2016

Genau die richtige Antwort

29.02.2016. Stoßseufzer aus Zürich. Ein unerwarteter Player hat in der Ausweisungsinitiative gegen die Rechtspopulisten entschieden - das Volk. In der FR erklärt Markus Hilgert vom Vorderasiatischen Museum in Berlin, warum Kulturschätze für die Demokratie so wichtig sind. In der SZ fragt sich Valentin Groebner, was sich im Wissenschaftsbetrieb seit Leibniz eigentlich geändert hat - das Patronagesystem jedenfalls nicht. In der Berliner Zeitung erklärt die Historikerin Gundula Bavendamm, wie sie die Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung neu organiseren will.

Deutsche Eliten nach Gusto formatieren

27.02.2016. Der Guardian erzählt, wie Boris Johnson mit selbsterfundenen "Euromythen" Karriere macht. In der NZZ kritisiert der russische Soziologe Igor Eidman die deutsche Öffentlichkeit, die sich von Wladimir Putin bereitwillig unterwandern lasse. In Libération fordert Julia Kristeva, "das Religiöse zu untersuchen, das wir aus den Augen verloren hatten". Bei Boingboing begrüßt Cory Doctorow die Nominierung Carla Haydens als Chefin der Library of Congress, wo sie großen Einfluss auf Copyright-Fragen hat. Und auch die SZ findet: Zu viel Kiwi im Quartett.

Dissidenz ist hier verboten

26.02.2016. Im Perlentaucher verteidigt Pascal Bruckner den algerischen Autor Kamel Daoud gegen die "neokoloniale Verachtung"  von Experten, die Kritik am Islam als "islamophob" denunzieren. In Le Monde setzt sich eine Gruppe von Historikern für den polnischen Kollegen Jan T. Gross ein. Kroatische Kulturschaffende wehren sich laut der Historikerin Martina Bitunjac in der taz gegen den Kulturminister des Landes, der Schulen nach SS-Kommandeuren benennt. Die FAZ bringt eine Verteidigung von Open Access. In der SZ wünscht sich Gustav Seibt eine Annäherung zwischen EU und Türkei.

Erst einmal fassungslos

25.02.2016. Die SZ lotet die Untiefen religiöser Moral aus. Die Zeit erklärt den Konnex von Ausländerfeindlichkeit und Antikommunismus in Osteuropa. In der FAZ beobachtet der Historiker Stephan Stach, wie die polnische Regierung die polnische Geschichte kapert. Im Freitag fürchtet der Bibliothekar Donald Barclay, dass das Urheberrecht in Amerika bis ins Unendliche ausgedehnt wird. In Frankreich wird weiter über den "Islamophobie"-Vorwurf gegen Kamel Daoud diskutiert.

Das Spiel der Wellen in den Medien

24.02.2016. Nach der "Islamophobie"-Attacke von 19 Akademikern erkärt Kamel Daoud nun in Le Monde, dass er mit dem Journalismus aufhört. Bei Zeit online wendet sich Najem Wali an die Flüchtlinge, besonders die männlichen: "Zu Hause wart ihr Paschas, hier werdet ihr nichts sein." Der Tagesspiegel macht sich Sorgen um den Prenzlauer Berg, wo die einstigen Verdränger verdrängt werden. In der Berliner Zeitung empfiehlt Götz Aly dringend, Jan Gross zu lesen. In der Washington Post fordert die Publizistin Danielle Allen einen journalistischen Trump-Boykott.

Im Namen ehrbarer Ideale

23.02.2016. Ist die Polizei in Sachsen überfordert, oder kollaboriert sie gar?, fragen FAZ und FR. Die Berliner Zeitung rät, das Berliner Einheitsdenkmal schlicht und einfach zu vergessen. In der FAZ erklärt die Historikerin Gundula Bavendamm, warum sie sich auf die Leitung der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung freut. Glaubt man Zeit online, sollte man sein Handy möglichst bandagieren und abschalten. Der marokkanische Verleger Ahmed Charai erklärt in der Huffpo.fr, wie der Begriff "Islamophobie" zur Allzweckwaffe gegen Kritiker gemacht wird.

Teile des Selbst des Menschen

22.02.2016. Angesichts der Bilder grölender Ausländerfeinde in Sachsen hätte sich die FR auch ein paar Bilder eines souverän eingreifenden Rechtsstaats gewünscht. Der Economist kritisiert Boris Johnson, der sich jetzt für den Brexit stark macht. Eine Gruppe von Autoren wehrt sich gegen eine nachträgliche Legitimierung der Verlegerbeteiligung an den Ausschüttungen der VG Wort. Die iranischen Mullahs und ihre Staatsmedien loben ein neues Kopfgeld auf Salman Rushdie aus, berichtet der Independent. Die Welt bringt die Dankrede von Adonis für den Remarque-Preis: ein Plädoyer für die laizistische Demokratie.

Erschütterungs-Meterware

20.02.2016. In der Schlacht um Britannien entscheidet sich das Los zweier Unionen, schreibt Timothy Garton Ash im Guardian. In der NZZ schreiben Herfried Münkler über Verdun und Carlo Strenger über falsche Toleranz, und Peter Sloterdijk schaut an den nächtlichen Sternenhimmel. Philipp Ruch erklärt in der Welt, was politische Schönheit ist. Und Thomas Schmid beklagt in seinem Blog die Ikonenhaftigkeit der jüngsten Pressefotografie.

Theatralisches Stühlerücken

19.02.2016. Im Streit Apple gegen das FBI stellt sich Zeit online auf die Seite von Apple. Die SZ liest David Graeber, der nicht zufrieden ist mit der Entwicklung der neuesten Technologien. Francebleu.fr besucht das Memorial von Verdun, das nicht mehr nur der französischen Soldaten gedenkt. In der FAZ verlangt Armin Nassehi eine konservative Politik für verunsicherte Kleinbürger und verunsicherte Neubürger. Und bestehen die Programme der Öffentlich-Rechtlichen bald nur noch aus Sport und Wiederholungen?

Geh ins Theater und schmeichle

18.02.2016. Im NouvelObs erklärt die abservierte Fleur Pellerin, wie Kulturpolitik in Paris funktioniert. In der Zeit plädiert Udo di Fabio für Grenzen, Thomas E. Schmidt fragt, wie offen eigentlich noch die politische Debatte ist. Der Freitag lernt von Platon und Hannah Arendt den inneren Pluralismus. Die SZ erkennt in Adonis den Intellektuellen in der politischen Ausweglosigkeit. In der Welt bricht Ian Buruma eine Lanze für das Establishment.

Der gefährliche Kern

17.02.2016. Die arabische Welt ist am Ende, meint Adonis im Interview mit der Welt. Im Guardian hofft Thomas Piketty, dass nun endlich mal ein jüngerer und nicht weißer Präsident in den USA drankommt. Der britische Geheimdienst GCHQ darf einfach alles, hat Zeit online herausgefunden. Integration geht nicht multikulti, meint die NZZ. Die Fast Company erklärt, warum es BuzzFeed noch in hundert Jahren geben wird. Die SZ weiß, wie Museen ihre Besucherzahlen um 400 Prozent steigern können. Und The Next Web erklärt, warum Kanye Wests neues Album so oft  schwarz kopiert wird.

Nach höchst aktuellem Geschmack

16.02.2016. Die neue polnische Regierung ist reaktionär, aber sie lässt sich nicht mit Putins Russland vergleichen, sagt Adam Zagajewski in der NZZ. In Europa ist noch eine rechtsextreme Regierung angetreten, schreibt Caroline Fourest mit Blick auf Kroatien, wo man katholischen und islamischen Fundamentalismus vereinen will. Was meint Russland, wenn es von "Kaltem Krieg" spricht, fragt die SZ. Die Zeitung ist tot, Online-Medien aber auch, meint die Financial Times, die von USA Today resümiert wird. In der FR jongliert Herbert Schnädelbach mit Normen, Werten und Gütern.

Weitergeben und verteilen

15.02.2016. Die polnische Regierung will dem Historiker Jan T. Gross, der den Antisemitismus im Land thematisierte, den Verdienstorden aberkennen - Intellektuelle protestieren, berichtet der Guardian. Im Journal du Dimanche erzählt die neue französische Kulturministerin Audrey Azoulay, wo sie zuerst Antisemitismus erlebte, jedenfalls nicht in ihrem Herkunftsland Marokko. In der NZZ wehrt sich Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich gegen ein Bild von Künstlern als Kreativitätsdienstleister. Und die Grünen wollen Open Access, berichtet cicero.de.

Alleskönnerzwitterwesen

13.02.2016. Die Diskussion um die Ereignisse von Köln flammt wieder auf: In der taz kritisiert eine anonyme Autorin den #ausnahmslos-Aufruf, der den Kontext der Taten nicht benennen will. In Le Monde antwortet ein ganzes Kollektiv auf Kamel Daoud, der über den arabischen Blick auf westliche Frauen geschrieben hatte. Sciencealert stellt den Dienst Sci-Hub vor, der Artikel wissenschaftlicher Zeitschriften online stellt - und nun von Elsevier verklagt wird. Die Welt inspiziert die Entwürfe für ein Museum des 20. Jahrhunderts in Berlin. Die taz berichtet über Streikbereitschaft bei Zeit online, deren Journalisten glatt mit dem vornehmen Printhaus gleichziehen wollen. In der NZZ räumt Wolfgang Sofsky mit den größten Illusionen über Demokratie auf.

Biblisch nicht begründbar

12.02.2016. In der huffpo.fr skizziert Liliane Kandel den alten Konflikt zwischen Feminismus und multikulturellen Ideen. Der New Yorker tanzt im Rhythmus der Gravitationswellen. Warum gibt's in Deutschland eigentlich nur "eingetragene Partnerschaften", aber keine Ehen für Schwule und Lesben, fragt die taz. In der NZZ wendet sich der Buchhistoriker Michael Hagner gegen die Idee einer Bibliothek ohne Bücher. Die Inder vergleichen Mark Zuckerberg laut Atlantic mit den britischen Kolonialherren. Und taz und Welt erzählen, wie Auslandskorrepondenten von türkischen Staatsmedien attackiert werden.

Ein unfassbarer Lärm

11.02.2016. Religionen operieren vor allem mit Furcht, um die Menschen zum Guten anzuhalten, fürchtet Spiegel online nach Lektüre von Nature. Auch Vice ist bewegt von Dunja Hayalis Rede zur Goldenen Kamera, findet aber, dass ihre Facebook-Postings nicht immer journalistischen Kriterien genügen. Misstrauen in Medien kann auch Beleg funktionierender Pressefreiheit sein, meint der Medienforscher Carsten Reinemann in der SZ. In einer E-Mail an Zeit online schildert der syrische Journalist Zouhir al Shimale die Zustände in Aleppo. In der Zeit nennt Herfried Münkler Peter Sloterdijk "unbedarft".

Kein Witz, kein Clown

10.02.2016. In der FR beklagt Udo di Fabio einen "Verlust an bürgerlicher Debattenkultur". In der SZ macht sich Ulrich Herbert Sorgen um die EU. Vox.com fürchtet einen Triumph Donald Trumps, während Gawker sehr alte Emails von Hillary Clinton zum Skandal macht. Nachdem er an Griechenland scheiterte, will Yanis Varoufakis nun ganz Europa reformieren - Spiegel online und taz sind skeptisch. Die Berliner Zeitung fürchtet: Die Friedrichwerdersche Kirche wird den Plattenbauten für die Berliner Neo-Bourgeoisie geopfert. Libération schließt sich dem internationalen Protest gegen den Mord an Giulio Regeni an. Und Ta-Nehisi Coates kämpft in Atlantic gegen einen Nebenwiderspruch.

Ich gebe zu, ich komme aus Wyoming

09.02.2016. Bei Standpoint ist Nick Cohen empört über britische Verleger, die sich nicht trauen, ein "Lob der Blasphemie" herauszubringen. In der FR plädieren zwei Europapolitiker in der Flüchtlingskrise für eine große europäische Lösung. Bei Politico.eu macht sich Tim Parks Gedanken über das Wesen von Populismus. In Boingboing erzählt John Perry Barlow, wie und warum er vor zwanzig Jahren in Davos seine "Declaration of the Independence of Cyberspace" schrieb. Italienische Medien machen die katholische Kirche für die Folgen der Zika-Epidemie mit verantwortlich: Fast überall in Südamerika ist Abtreibung verboten. Alle deutschen Medien trauern um Roger Willemsen.

Die eigene Existenz ästhetisch zu begreifen

08.02.2016. In der taz sucht die Kultursoziologin Juliana Roth nach historischen Gründen für Fremdenfeindlichkeit in Osteuropa. In der Welt diagonistiziert der blutjunge Denker Armin Nassehi eine "Geronto-Maskulinisierung" der Debatte. In der NZZ empfiehlt Hans-Ulrich Gumbrecht Wettbewerb. Der Tagesspiegel fürchtet, dass die Öffentlich-Rechtlichen ihre Gebühren demnächst hauptsächlich fürs Eintreiben der Gebühren ausgeben. BHL verteidigt den Film "Les Salafistes". Les Inrocks empfiehlt ein Buch über arabische Feministinnen. Und Twitter soll nicht algorithmisch werden!

Fußabdrücke von Dinosauriern

06.02.2016. Die Flüchtlingszuwanderung ist keine Krise, weil sie nicht verschwinden wird, meint Harald Welzer in der taz. Der Guardian wundert sich über das UN-Urteil im Fall Julian Assange. Bei der NSA teilen sich Bock und Gärtner bald ein Büro, meldet golem.de. Die NZZ bricht eine Lanze für François Margolins kontroverse Dokumentation "Salafistes". Georg Seeßlen denkt im Freitag über unsere Hyperinformationsgesellschaft nach. Und der polnische Außenminister Zbigniew Ziobro sorgt sich in der FAZ um die Pressefreiheit in Deutschland.

Idealer Resonanzboden

05.02.2016. Thomas Schmid vernimmt in der deutschen Debatte einen beunruhigenden "Weimarer Ton", auch unter Intellektuellen, und fragt, woher der Hass kommt. Während die NZZ die düstere Wirtschaftslage Russlands ausmalt, zeichnet Politico.eu ein Porträt des Dissidenten Alexej Nawalny, der einsam, aber unverdrossen weitermacht. In der SZ ist dem niederländischen Autor René Cuperus sowohl das helle, als auch das dunkle Deutschland unheimlich. Die FAZ kritisiert das Internet. Und die taz wünschte, dass Lenin sich von Dada hätte anstecken lassen.

Von der Detailaufnahme bis zur Totale

04.02.2016. "Hört das denn nie auf?", fragt der Jesuit und Psychologe Hans Zollner in der Zeit, nachdem neue Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche bekannt wurden. Hans Hütt reiht bei Zeit online Peter Sloterdijk, Rüdiger Safranski und andere Autoren in ein "intellektuelles Freikorps" ein. Die SZ will ihr Bargeld behalten. Techcrunch erläutiert, wie Google die Werbelandschaft ordnet. Politico.eu hofft, dass Wladimir Putins Scherge Ramsan Kadyrow in Bedrängnis gerät. Im Tagesspiegel fürchtet Sonja Margolina einen neuen Antisemitismus in Deutschland.

Netzgenuine Vorgänge

03.02.2016. In dramatischen Farben schildert Pankaj Mishra im Guardian die Umtriebe der Hindu-Nationalisten, die nun sogar Arundhati Roy mit Gefängnis bedrohen. Die SZ erstellt eine Psychopathologie von AfD und Pegida und begegnet dem Thymos mit den Listen der Rhetorik. Silke Burmester legt in der taz offen, wie Gruner und Jahr mit den festen Freien umgeht. Nein, Twitter ist noch nicht am Ende, ruft Will Oremus in Slate. Und in der Berliner Zeitung fragt Götz Aly: "Wer macht denn die Arbeit? Die Politiker oder ich?"

Nie dagewesen und nicht hinnehmbar

02.02.2016. Wie beängstigend die Stimmung in Deutschland ist, belegt ein Interview der Leipziger Volkszeitung mit dem Leipziger Polizeipräsidenten Bernd Merbitz, der vor Pogromen in Sachsen warnt. Kenan Malik benennt in seinem Blog das übelste Dilemma der europäischen Flüchtlingspolitik: Sie ist entweder machbar und nicht durchsetzbar oder unmöglich, aber populär.  Der Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi warnt im hpd vor einer zu engen Kooperation der Politik mit den konservativen Islamverbänden. In Frankreich stellen sich Intellektuelle gegen eine drohende Verfassungsänderung.

Wirklich seltsam und verrückt

01.02.2016. Nur Hirnforscher wissen, was Materialismus ist, sagt der Neurochirurg Henry Marsh im Gespräch mit der FR. Es gibt kein Verschweigen wesentlicher Informationen in den Medien, insistiert die NZZ, wohl aber Konformismus. In der FAZ erklärt Timothy Snyder, warum Genozide nicht aus der Perspektive nationaler Geschichte zu verstehen seien. In Frankreich erregt die ehemalige Justizministerin Christian Taubira mit einem heimlich geschriebenen Buch Aufmerksamkeit. In der SZ fordert Paul Scheffer eine Kultur des Diskutierens und Benennens.