Joseph Henrich

Die seltsamsten Menschen der Welt

Wie der Westen reichlich sonderbar und besonders reich wurde
Cover: Die seltsamsten Menschen der Welt
Suhrkamp Verlag, Berlin 2022
ISBN 9783518587805
Gebunden, 918 Seiten, 34,00 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen von Frank Lachmann und Jan-Erik Strasser. Es gibt einen Menschenschlag, der sich von allen anderen früheren und heutigen stark unterscheidet. Sein Gehirn ist so verdrahtet, dass er in der Regel Gesichter schlechter erkennen kann, weniger auf seine Verwandten achtgibt und die Welt "scheibchenweise" verstehen will. Bei diesen sonderbaren Personen handelt es sich aber nicht etwa um peruanische Matsigenka, Fidschi-Insulanerinnen, chinesische Reisbauern oder die Jäger und Sammlerinnen der Hadza im heutigen Tansania - sondern um Leute wie Sie und mich! Aber warum sind wir "Westler" so sonderbar - und was hat das mit Demokratie und Religion, mit Falschparken und Heiraten, Totems und Tabus, mit Aufklärung, Industrieller Revolution, Globalisierung und überhaupt fast allem anderen zu tun? Und warum war ausgerechnet das katholische Ehe- und Familienmodell des Mittelalters so überaus wichtig?

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.04.2022

Als besonders aufwändigen Fall von "Abendlandsduselei" betrachtet Rezensent Oliver Jungen diese völkerpsychologische Weltgeschichte des Harvard-Historikers Joseph Henrich. Die "seltsamsten Menschen der Welt" sind für Henrich die Bewohner des Westens, entsprechend dem Akronym WEIRD: Western, Educated, Industrialized, Rich, Democratic. Damit meine Henrich, wie Jungen darlegt, dass Westler einen höheren Grad an analytischem Denken, Individualismus, Fleiß, Ehrlichkeit und Selbstbeherrschung erreicht hätten. Diese Höherentwicklung erklärt Henrich dem Rezensenten zufolge mit dem christlichem Monogamiegebot und Inzestverbot. Während sich "die Anderen" weiter mit Clanstrukturen und Familienehre herumschlugen (das europäische Mittelalter kannte dagegen allenfalls Hocharistokratie), entwickelte das individualisierte und prosoziale Abendland Städte, Klöster, Gilden und Universitäten. Zwar gesteht der Rezensent dem Buch zu, gut lesbar und mitunter durchaus anregend zu sein, am Ende aber habe sich Henrich in einer Weltformel verrannt, die den alten Sozialdarwinismus als "kulturelle Evolution" bemäntelt, ärgert sich der Rezensent. Und über Kolonialismus, Imperialismus und Völkermorde hat Jungen da noch gar nichts gesagt.
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Rezensionsnotiz zu Die Welt, 02.04.2022

Rezensent Marc Reichwein ist sichtlich überfordert mit diesem Riesenbuch des Harvard-Anthropologen Joseph Henrich. Henrichs Wissen und Redebedürfnis sind ihm schlicht zu viel, um reines Leseglück zu sein. Als mit Wissen und allerhand Persönlichem "vollgestopfte" Wunderkammer, als "hemdsärmelig" referierte Menschheitsgeschichte, die der Frage nachgeht, wann und wodurch der westliche Mensch seinen Sonderweg beschritt, hält der Band für Reichwein natürlich auch allerhand Erkenntnisse bereit. Der Individualismus, die Freiheit und das Faible für Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit kamen mit dem frühen Christentum auf den Westler, lautet eine. Postkoloniale Perspektiven sucht Reichwein im Buch allerdings vergeblich. Genau wie eine leitende Fokussierung.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 16.03.2022

"Weird" steht in diesem Buch des Anthropologen Joseph Henrich nicht nur für "seltsam", sondern auch als Abkürzung für "westlich, educated, industrialisiert, reich und demokratisch", klärt uns Rezensent Volkart Wildermuth auf. Und genau da packt Henrich an, wenn er anhand von soziologischen und historischen Daten darlegt, weshalb westliche Menschen seltsam sind, fährt der Kritiker fort, der hier liest, dass diese sich mehr um sich selbst als um ihre Familien kümmern, deshalb aber auch erfolgreicher seien. Schuld sei die Katholische Kirche - durch das Gebot der Monogamie und das Verbot der Vetternheirat sei es ihr gelungen, "verwandtschaftsbasierte Institutionen zu zerschlagen", lernt Wildermuth. Die Belege, mit denen Henrich seine These untermauert, scheinen dem Kritiker überzeugend, dass der Autor allerdings Kolonialismus, Sklaverei und Genozide ausblendet, findet Wildermuth bedauerlich.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 15.03.2022

Rezensent Jens-Christian Rabe ahnt, dass er und seine Spezies (der "western, educated, industrialized, rich und democratic people") mindestens genauso Teil des Problems sind wie der Lösung. Diese Erkenntnis verdankt er dem Buch des Evolutionspsychologen Joseph Henrich, laut Rezensent ein großer Wurf allein schon durch die schiere Stoffmasse, durch die sich der Autor gräbt und die er dennoch leserlich serviert. Was macht den westlichen Menschen also psychologisch so eigentümlich? Die Antwort darauf gibt Henrich laut Rabe mit dem Hinweis auf christliche Normen, die laut Autor der "kulturellen Evolution" mit Aufklärung, Vernunft- und Logikprimat zugrundeliegen. Dass bei Henrich ein "gewisser Sozialdarwinismus" auszumachen ist und als Nachweis seiner Thesen "experimentelle Sozialstudien" herhalten müssen, nicht "beinharte Wissenschaft", diese doppelte Kröte muss der Rezensent schlucken. Als Ausgangspunkt für "konstruktive Quellenkritik" der Fachwelt aber eignet sich der Band laut Rabe vorzüglich. Westlichen Politikern und Diplomaten sei er zur Lektüre empfohlen, so der Rezensent.
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