Lutz Seiler

Die Zeitwaage

Erzählungen
Cover:  Die Zeitwaage
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009
ISBN 9783518421154
Gebunden, 284 Seiten, 22,80 EUR

Klappentext

Mit der Ruhe eines Seiltänzers bewegt sich dieser Träumer auch durch das Nachwende-Berlin. Zu den Dingen, die dabei in seinen Besitz geraten, gehört eine einzigartige Uhr, in deren Ticken er die Geschichte hören kann, die ihm geschehen ist. Lutz Seilers neues Buch enthält neben "Turksib", für die er mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet wurde, dreizehn neue Erzählungen. Ob in der Geschichte einer gespielten Erschießung oder im alltäglichen Drama einer wirklichen Trennung - in allen Texten des Bandes "Die Zeitwaage" geht es um prägende Wendepunkte, um das Groteske im Leben und unser häufig vergebliches Ringen um einen anderen Verlauf.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.10.2009

Diesmal fesselt der Autor den Rezensenten nicht als Lyriker, sondern als Erzähler. Das Thema der verlorenen Ursprünge, schreibt Hans-Jürgen Schings in seiner Besprechung, umkreist Lutz Seiler in seinen autobiografischen Erzählungen auf spröde, doch eindrucksvolle Weise. Der Autor nimmt den Rezensenten mit in die Überschaubarkeit der thüringischen Kindheitslandschaft und schildert, laut Schings mit Sympathie und Genauigkeit, das einfache Leben. Der Höhepunkt des Bandes ist für Schings nicht der mit dem Bachmann-Preis prämierte Text "Turksib", sondern die titelgebende Erzählung, in der Seiler den Beginn seiner Autorschaft im durchaus als fremd empfundenen Berlin verhandelt.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 13.10.2009

Rezensent Helmut Böttiger stellt mit Freude und Erleichterung fest, dass Lutz Seilers Erzählband  "Die Zweitwaage" hält, was seinerzeit die Leseprobe beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb 2007 versprochen hat. Dort hatte ihn die Erzählung "Turksib" über eine Zugfahrt durch Kasachstan, die im vorliegenden Band enthalten ist, bereits durch ihre zeitlos-mythische Atmosphäre fasziniert. Die restlichen 12 Erzählungen sind in Ton und Sujet ganz unterschiedlich, sie reichen von einer zweiteiligen Trennungsgeschichte bis zu Erzählungen aus der DDR-Kindheit und Jugend und greifen viele Motive aus der Lyrik des Autors auf, erzählt der Rezensent. Nicht selten fühlt er sich in den Motiven und im Ton zudem an Wolfgang Hilbig erinnert, dem er in Seilers Erzählungen "gehuldigt" sieht. Unter anderem greift der begeisterte Böttiger die titelgebende Erzählung "Die Zeitwaage" heraus, die ihm sehr gefallen hat. Sie schildert auf beeindruckende Weise eine persönliche Umbruchzeit des Erzählers in den Monaten vom Mauerfall bis zur D-Mark-Einführung und bringt so diese beiden Ereignisse, ohne die politische Situation überhaupt zu benennen, zur Deckung, so Böttiger fasziniert.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 12.10.2009

Worte reichen der Rezensentin Angelika Overath nicht aus, um ihre Begeisterung über Lutz Seilers dreizehn in "Die Zeitwaage" versammelten Prosastücken auszudrücken. Zum Glück gibt es ja noch die Interpunktion. Also: "Nie wurde das Elend des deutschen Ostens mit genauerer Zärtlichkeit beschrieben!" Besonders angetan hat es ihr die - wie sie vermutet autobiografisch grundierte - Geschichte "Gavroche", die sie zu den "schönsten Liebesgeschichten seit der Antike " zählt. Erst bei wiederholter "staunender" Lektüre eröffnet sich, wie die Rezensentin erfahren hat, die ganze Kunstfertigkeit des Autors. So überwältigt ist Angelika Overath, dass sie am Ende nur noch Vermutungen über das anstellen kann, was sich da vor ihren lesenden Augen auftut: "Vielleicht hat er ein pochendes, ein um Leben flehendes Buch geschrieben." Ganz sicher scheint es ein sehr intimes zu sein. Ohne Fragezeichen.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 08.10.2009

Rezensent Jens Jessen feiert diesen Erzählband des 1963 in Gera geborenen Lutz Seiler für seine "extraschwere Qualität" – quasi "Vorkriegsware". Zunächst führt er aber allerlei seelsorgerische Gründe an, von diesem Buch abzuraten. Handlungsarmut samt Abgründe der Schwermut, die Lutz Seilers Texte Jessen zufolge durchziehen, würden sich nämlich mühelos auf den Leser übertragen. Auch der fühle sich nach vollzogener Lektüre spontan keiner Herausforderung mehr gewachsen. Dabei weckt die Rezension spontane Leselust, klingen Jessens Schilderungen der Erzählungen höchst faszinierend, in denen es – liest man – um Menschen geht, die aus "Gehemmtheit, Verklemmtheit, aus Verdruckstheit" in nicht ganz alltäglichen, aber auch nicht sonderlich dramatischen Situationen nie das tun, was sie anständigerweise tun sollten: die Polizei rufen, der Mitschülerin kein Bein stellen, den verletzten Vogel füttern. Seiler beschreibt die "seelischen Kollateralschäden des Sozialismus", und er tut es "souverän", ruft der begeisterte Rezensent.
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