Michel Leiris

Phantom Afrika

Cover: Phantom Afrika
Matthes und Seitz Berlin, Berlin 2022
ISBN 9783957577788
Gebunden, 968 Seiten, 68,00 EUR

Klappentext

Herausgegeben von Irene Albers. Aus dem Französischen von Rolf Wintermeyer und Tim Trzaskalik. Durchgesehene und erweiterte Neuausgabe. Michel Leiris wird gerade wieder neu entdeckt: als Kronzeuge kolonialer Raubkunst. Tatsächlich wird man kaum einen Autor finden, der die fragwürdigen Praktiken bei der Aneignung von Objekten durch Ethnografen in Afrika - Rettung durch Raub - so freimütig aus der Täterperspektive schildert. Die Ethnologen haben ihn nach diesen Enthüllungen zuerst als unseriösen "Literaten" verunglimpft, um Phantom Afrika (1934) später zum Vorbild für eine experimentelle Ethnografie in der ersten Person zu erklären. Aus heutiger Sicht bietet das von Surrealismus und Psychoanalyse inspirierte Tagebuch des Sekretärs der legendären, staatlich finanzierten Forschungs- und Sammlungsreise von Dakar nach Djibouti (1931-1933), der ersten und größten dieser Art, vielleicht noch grundlegendere Einsichten in die Paradoxien der Feldforschung im kolonialen Zeitalter. Denn der Surrealist mit Tropenhelm ist vor allem eins: schonungslos. Genauso wie die Methoden der Wissenschaftler seziert er seine Widersprüche und Obsessionen, dokumentiert seine exotistischen und kolonialistischen Vorstellungen. Zum Antikolonialisten wurde Leiris erst durch diese Erfahrung. So wird der Leser Zeuge, wie ein weißer europäischer Mann, der sich in Afrika auf die Suche nach Grenzerfahrungen macht, am Ende vor allem seine inneren Dämonen kennenlernt - nicht die schlechteste Voraussetzung, um die Geister und die Poesie der "Anderen" zu erforschen.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 21.12.2022

Wer wissen will, wie das koloniale Frankreich afrikanische Kunst raubte, sollte die redigierte und erweiterte Neuauflage des Tagebuchs von Michel Leiris lesen, empfiehlt Rezensent Jonathan Fischer. Der den Surrealisten nahestehende Schriftsteller war als Archivar der Dakar-Djibouti-Mission zwischen 1931 und 1933 angeheuert worden und schrieb in seinen (vom Auftraggeber nie veröffentlichten) Notizen über die traumatisierenden Erlebnisse während dieser berüchtigten Expedition: Wie die Kolonialherren Kulturen und Religionen im westlichen Afrika im wahrsten Sinne mit Füßen traten und wie weit diese Brutalität reichte, wenn die Menschen sich wehrten, ihre Kultgegenstände abzutreten. Dass der Literat Leiris dabei sein eigenes moralisches Dilemma und seine persönlichen Grenzen thematisiert, gehört für den Rezensenten zur Stärke dieser fast 1000 Seiten.    
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.05.2022

Rezensent Helmut Mayer lobt den von Irene Albers herausgegebenen und erweiterten Band mit Texten von Michel Leiris um und über seine Afrikareise im Auftrag des Ethnologischen Museums Paris von 1934. Der Band, der allerhand Quellen rund um Leiris' "Feldtagebuch" versammelt, zeichnet den Autor laut Mayer in seiner schillernden Gestalt als linker Antikolonialist, der selber afrikanische Kultobjekte "einsackt". Sichtbar werden für den Rezensenten neben dem kolonialen Raub von Kulturgütern das Selbstverständnis und die Praxis der französischen Ethnografie der Vorkriegsjahre, wobei es "die" kolonialistische Ethnografie, wie Mayer auf dem Buchrücken liest, nicht gibt, wie der Rezensent kritisch anmerkt. Alles in einem eine nicht ganz einfache, wenngleich lesenswerte "Lektion", findet Mayer.
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