Uwe Neumahr

Das Schloss der Schriftsteller

Nürnberg '46
Cover: Das Schloss der Schriftsteller
C.H. Beck Verlag, München 2023
ISBN 9783406791451
Gebunden, 304 Seiten, 26,00 EUR

Klappentext

 Wohl nie waren so viele berühmte Schriftsteller und Reporterinnen aus aller Welt unter einem Dach versammelt wie in Nürnberg 1946. Sie kamen, um zu berichten: von den Gräueln des Krieges und des Holocaust, die dort vor Gericht verhandelt wurden. Sie wohnten und schrieben auf Schloss Faber-Castell, diskutierten, tanzten, verzweifelten, tranken. Uwe Neumahr erzählt ihre Geschichte. Erich Kästner war in Nürnberg und Erika Mann, John Dos Passos und Martha Gellhorn, Willy Brandt und Markus Wolf. Augusto Roa Bastos kam aus Paraguay, Xiao Qian aus China. Im Gerichtssaal blickten sie den Verbrechern ins Angesicht, im Press Camp auf dem Schloss versuchten sie, das Unfassbare in Worte zu fassen. Dabei trafen im Mikrokosmos des Faber-Schlosses Exil-Rückkehrer auf Überlebende des Holocaust, Kommunisten auf Vertreter westlicher Medienkonzerne, Frontberichterstatter auf extravagante Starreporter. Und während sie in den Abgrund der Geschichte sahen, während sie über Schuld, Sühne und Gerechtigkeit nachdachten, veränderten sich nicht nur sie, sondern auch die Art, wie sie schrieben.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 08.04.2023

Gerne lässt sich Rezensent Micha Brumlik von Uwe Neumahr auf eine Zeitreise ins Schloss Faber-Castell mitnehmen: Dort waren die Berichterstatter der Nürnberger Prozesse über Ländergrenzen hinweg gemeinsam untergebracht. Manche von ihnen, wie Willy Brandt, waren in der NS-Zeit emigriert, andere, so auch Erich Kästner, hatten sich in der "inneren Emigration" befunden, was nicht unbedingt für spannungsfreie Begegnungen sorgt, wie Brumlik anhand eines besonderen Beispiels zeigt. Die Emigrantin Erika Mann traf auf Wilhelm Süskind, mit dem sie vor 1933 eng befreundet gewesen war, zu dem sie aber aufgrund seiner propagandistischen Tätigkeiten trotz aller Versuche seinerseits nun keinen Kontakt mehr aufnehmen wollte, erklärt der Rezensent. Nicht nur diese Kombination aus Berichterstattung von einem einmaligen Prozess und gleichzeitiger Betrachtung der ganz privaten Lebensumstände der Korrespondenten überzeugt ihn von Neumahrs Buch, auch die dezidiert feministische Perspektive, die durch Frauen wie Rebecca West und Elsa Triolet Einzug hält, macht die Lektüre für ihn zu einer besonders lehrreichen und spannenden Erfahrung.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 23.03.2023

Was für ein Who's Who hatte sich damals im Schloss der Bleistift-Dynastie Faber-Castell versammelt, um den Nürnberger Prozessen beizuwohnen! Rezensent Bernd Noack nennt nur beispielhaft die Namen Erich Kästner, Martha Gellhorn, Golo Mann, Wolfgang Hildesheimer, Elsa Triolet, Willy Brandt und Gregor von Rezzori. Sie alle mussten in dem Schloss unter sehr kargen Verhältnissen übernachten, während sie den kaum erträglichen Schilderungen der Naziverbrechen folgten. Mit großem Interesse folgt Noack den Schilderungen des Autors, dem es offenbar gelingt, ein besonders plastisches Bild der damaligen Geschehnisse und Debatten zu zeichnen. Das Atmosphärische kommt nicht zu kurz: Reichlich Whisky und Wodka wurden konsumiert, und die Reporterin Rebecca West hatte ein Affäre mit Francis Biddle, dem amerikanischen Hauptrichter in Nürnberg. Mit Interesse schildert Noack auch, welche Schwierigkeiten die Autoren damals noch bei der Einschätzung der Taten und der Täter hatten - noch waren Begriffe wie die "Banalität des Bösen" nicht entwickelt. Entgegen der Behauptung des Verlags wird diese Szenerie in Neumahrs Buch aber nicht zum ersten Mal wieder erweckt, stellt der Rezensent in einer kleinen kritischen Anmerkung richtig und empfiehlt als ergänzende Lektüre Steffen Radlmaiers Buch "Der Nürnberger Lernprozess" von 2001.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.03.2023

Ein seltsames Buch hat Uwe Neumahr geschrieben, findet Rezensent Andreas Platthaus. Trotzdem hat er die Geschichte über das von den Amerikanern auf Schloss Faber-Castell aufgeschlagene Pressezentrum, aus dem bis 1949 über die Nürnberger Prozesse berichtet wurde, mit Interesse und Vergnügen gelesen - obwohl er statt des recherchierten oder angelesenen Gossip über Willy Brandt bis John Dos Passos (die damals als Berichterstatter akkreditiert waren) gerne mehr darüber erfahren hätte, wie der deutsche Zeitgeist der frühen Nachkriegsjahre tickte und welches Signal mit diesem "Press Camp" - das zu bewohnen deutschen Reportern nicht erlaubt war - medienhistorisch gesetzt wurde. Was Platthaus Neumahr aber zugutehält ist, viel über Journalistinnen in dieser Zeit erfahren zu haben.
Lesen Sie die Rezension bei buecher.de

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 07.03.2023

Die Nürnberger Prozesse 1946 gegen die Nazi-Größen wurden von namhaften ProzessbeobachterInnen wie Willy Brandt, Erika Mann oder Erich Kästner journalistisch begleitet, liest Rezensent Joachim Käppner bei Uwe Neumahr. Die Journalist*innen waren alle zusammen in einem Schloss untergebracht, das ihnen wie "Stein gewordene 'German Schrecklichkeit" erschien. Dennoch: Ganz gleich, welcher der alliierten Staaten sie entsandt hatte, sie feierten alle gemeinsam über die politischen Teilungen hinweg, liest der Kritiker in dem anekdotenreichen Buch.  Den Ort, an dem "Weltliteratur auf Weltgeschichte traf", nutzt Neumahr aber nicht nur, um geschichtlichen Ablauf der Prozesse zu schildern, sondern auch, um sich den Fragen vieler Autor*innen zu widmen, wie über das Unfassbare zu schreiben ist, wenn es für die unmenschlichen Gräuel keine Sprache gibt, macht der Kritiker deutlich. Ein lehrreiches, spannendes und trotz vielfältiger Informationen klar und nachvollziehbar geschriebenes Buch, das Käppner gerne empfiehlt.
Lesen Sie die Rezension bei buecher.de

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 06.03.2023

Rezensent Marko Martin hat von Uwe Neumahr viel über die deutsche Nachkriegskulturgeschichte gelernt. Der Germanist hat sich das "Press Camp" vorgeknöpft, in dem bis 1949 die Journalisten untergebracht waren, die über die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse berichteten. Das Schloss der von Faber-Castell war von den amerikanischen Alliierten dafür ausgesucht und mit einem Küchenchef ausgestattet worden. Es beherbergte nicht nur Erika und Golo Mann, sondern auch Markus Wolf, Willy Brandt, Wolfgang Hildesheimer, Robert Jungk und Erich Kästner - alle arbeiteten damals als Berichterstatter. Neumahrs präzise Recherche führe die Zeit vor, in der sich der Kalte Krieg anschlich und im Schloss zu diversen Disputen führte, schreibt der begeisterte Rezensent und ist froh, dass der Autor sich keine Begegnung zwischen dem späteren Stasi-Granden und dem SPD-Kanzler ausgedacht hat - obwohl es verführerisch gewesen wäre.