Efeu - Die Kulturrundschau
Husten im Rang
Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
Bühne
Benommen vor Glück taumelt SZ-Kritiker Reinhard J. Brembeck aus Krzysztof Warlikowskis Inszenierung von Richard Strauss' "Elektra", mit der sich die Salzburger Festspiele der Coronakrise entgegenstemmen: "Ach, wie herrlich und erfüllend ist es doch, nach Monaten erstmals wieder ein großes Orchester und dann noch dieses in einem großen Raum und mit Sängern zusammen zu hören! ... Die Musik dampft und schnaubt, sie keucht und kreischt, sie springt den Hörer wie ein Raubtier an, schleudert ihn achtlos in eine Ecke. Alles ist überdeutlich Botschaft, alles kündet von den Seelenschründen der Protagonistin. Fin de Siècle, Schauerromantik, Exhibitionismus, Blutsucht und Rachegelüst ergeben eine Schrille, die schnell unerträglich sein kann und heute wie aus der Zeit gefallene Outrage wirkt. Das wissen in Salzburg alle. Musiker wie Macher hegen deshalb das Grauen ein, sie domestizieren es. Das aber nimmt dem Stück nichts von seiner Wirkung."
Die Inszenierung ist großartig, meint Judith von Sternburg in der FR: "Kein Abend, der den Frauen auf die Spur kommen will. Warlikowskis Blick ist kalt, er hält sich raus, er stellt das Monströse zur Schau. Das sind wahrlich die treffenden Bilder zum von Welser-Möst ideal dosierten, in Zaum gehaltenen Irrsinn der Musik." Triumphal findet Christian Wildhagen in der NZZ vor allem auch die Sängerinnen Ausrine Stundyte und Asmik Grigorian: "Ihre ähnlich timbrierten Stimmen ergänzen sich ideal, und vor allem gegen Ende scheint es, als triebe eine die andere zu immer glanzvolleren Strauss-Höhen an. Mit einer feinsinnig aus dem Text gestalteten Seelenstudie der zerrütteten Mutter Klytämnestra schafft Tanja Ariane Baumgartner einen sinnigen Kontrast." Glanzleistung, ruft auch Jan Brachmann in der FAZ. Nur im Standard ist Ljubisa Tosic nicht ganz zufrieden mit der Regie.
Eigentlich hat sich auch vor Corona das hygienische Theater schon abgezeichnet, sinniert Rüdiger Schaper im Tagesspiegel, nach einem Plausch mit seinem Nachbarn: das brave "Rumsteh- und Aufsagetheater" der Dramaturgen, oft übers Mikro gesprochen. "Im Vergleich mit genialisch-wilden Regisseuren, unbezähmbaren Schauspielern, komplizierten Theaterautoren und noch komplizierteren Intendanten-Egos sind Dramaturgen so etwas wie die wandelnde Vernunft, die Ordnung im Theaterchaos. Es zeichnet sich schon länger ab, dass das Theater vordergründig politischer und widerständiger wird, aber auch braver und cleaner. Innerlich sauber gekämmt, nach außen rebellisch. Vielleicht war das schon immer so. Die 68er-Regietheater-Truppe legte am Ende immer mehr Wert auf Renommee (und Bezahlung) als auf Rebellion."
Kunst
Für die taz besucht Ingo Arend die Schau "Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer" im Kunsthaus Dresden, die der Ökologie in der Kunst nachspürt: "Nehmen wir Lois Weinbergers Arbeit 'Invasion', die die Besucher:innen gleich zu Beginn der Schau begrüßt. Die Schaufensterpuppe wirkt wie eine surrealistische Skulptur. Die seltsam geriffelten Halbrunde, mit denen sie überzogen ist, entpuppen sich bei näherer Betrachtung aber als Zunderschwämme: Pilze. Der Parasitenpilz, der sich gelegentlich beim Waldspaziergang an Bäumen findet, sieht aus wie ein bösartiges Geschwür. In Wahrheit transformiert er Holz zu Mutterboden und dient als Katalysator für Mini-Ökosysteme."
In seiner taz-Reihe zu Polizei in der Kunst erkundet Sebastian Strenger heute Franz Wests "Immobiles Passstück (Polizeikappen)". In der FAZ berichtet Andreas Rossmann, dass gestohlene Glaskunst aus dem Düsseldorfer Museum Hentrich von den italienischen Carabinieri sichergestellt wurde. Patrick Bahners besichtigt für die FAZ die neue Ausstellung im Museum Peter August Böckstiegel in Werther.
Film
Fritz Göttler empfiehlt in der SZ wärmstens zwei tolle neue Filme mit Johnny Depp auf DVD, Wayne Roberts" Professor" und John Waters' Komödie "Cry-Baby". Besprochen werden Leigh Whannells feministisch gewendetes Remake des Horrorklassikers "Der Unsichtbare" mit Elizabeth Moss auf DVD (taz) und Leslye Davis' Dokumentation "Father Soldier Son" (Freitag).
Literatur
Besprochen werden Tanya Tagaqs Roman "Eisfuchs" (NZZ), eine Comicbiografie von Friedrich Engels (Tsp), Nicolas Mathieus Roman "Rose Royal" (Berliner Zeitung), Elizabeth Gilberts Roman "City of Girls" (Presse), Robert Seethalers neues Buch "Der letzte Satz" (Standard), Bart van Loos Geschichte Burgunds (SZ), autobiografische Romane von Valerie Fritsch und Oskar Roehler (SZ). Mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).
Musik
Hier ein Stück von Nura:
In der SZ stellt Jonathan Fischer das Projekt "Keleketla!" vor, dass das britische DJ-Duo "Coldcut" mit südafrikanischen Musikerstars und Vertretern der Message-Musik vereint - und zwar im "Geist einer aufrichtigen Kollaboration. Bei der Musikerauswahl berieten die südafrikanischen Avantgarde-Label-Betreiber Mushroom Hour Half Hour. Und niemals drängen sich elektronische Ego-Trips in den Vordergrund. Nein, es sind die Stimmen der afrikanischen und afrodiasporischen Musiker, die die Musik wesentlich prägen. Sie singen in ihren Muttersprachen und teilen sich die Songwriting-Credits."
Wir hören rein:
Weiteres: In der Berliner Zeitung schreibt Peter Uehling zum Auftakt der Young Euro Classic in Berlin. In der Berliner Zeitung erinnert Olaf Neumann an den Erfinder des Synthesizers Elisha Gray.
Besprochen werden ein Konzert der deutsch-türkische Sängerin Derya Yildirim (Berliner Zeitung), das neue Album von den Psychedelic Furs, "Made of Rain" (Berliner Zeitung), und das Album "On & On" von Daniel Blumberg (Berliner Zeitung).